Bekanntschaft mit Prof. Mehnert als glückliche Fügung

Die Geschichte meines Typ-1-Diabetes begann deutlich vor der eigentlichen Diagnose, und zwar schon Sommer 1962. Ich war 16 Jahre alt und hatte gerade die Polio-Schluckimpfung hinter mir. Ich litt plötzlich unter diffusen Bauchschmerzen, vor allem wenn ich mir eine Portion Eis gegönnt hatte. Im Krankenhaus entfernte man mir den Blinddarm. Der allerdings war subakut. Meine Diabetes-Symptome begannen schleichend, doch niemand ordnete sie richtig ein. Ich hatte zum Beispiel nach jedem Besuch im Freibad eine Scheidenpilzinfektion – vermutlich, weil ich bereits Zucker im Urin hatte. Außerdem wurde ich auf einmal sehr schlank. Letzteres freute mich zunächst, weil ich immer der leicht mollige Typ gewesen war. Rückblickend weiß ich, dass schon in dieser Zeit erste Inselzellen zerstört wurden.

Dennoch fand man keine Diagnose, und so lebte ich mehr oder wenig fröhlich bis zum Abitur – wenn auch mit immer wiederkehrenden Hypoglykämien, die ich nicht zuordnen, geschweige denn diagnostizieren konnte. Nach dem Schulabschluss nahm ich ein Studium der Lebensmittelchemie auf und verlebte die ersten sechs Semester bis zum ersten Staatsexamen unbeschwert und ohne Probleme. Dann aber häuften sich nächtliche Hypoglykämien: Ich lag nachts schweißgebadet im Bett und wusste, dass es mir erst wieder besser gehen würde, wenn ich einen Esslöffel Zucker zu mir nehme. Ich erzählte niemanden von diesem Problem, denn ich hielt es für irgendeine depperte Finte meinerseits.

Dann allerdings hatte ich im Februar 1969 einen schweren Autounfall. Ich war zusammen mit einem Assistenten von der Uni im Auto unterwegs. Er saß am Steuer, ich war Beifahrerin. Beim Aufprall gerieten wir mit unserem Auto unter einen Lkw. Ich war schwer verletzt und landete mit mehreren Knochenbrüchen auf der Chirurgie des Schwabinger Krankenhauses. Dort manifestierte sich auch mein Diabetes. Allerdings wurde er nicht diagnostiziert. Ich litt zwar unter unendlichem Durst, doch man erklärte mir, die alte Dame im Nachbarzimmer klage auch über die trockene Heizungsluft. Weil ich bei meiner Größe von 168 cm nur noch 45 kg wog, wurde mir immer Traubenzucker über das Essen gestreut. Doch niemand kam auf die Idee, einmal meinen Blutzucker zu messen.

Nach drei Monaten Krankenhaus wurde ich entlassen. Erst als ich meinem Hausarzt über den extremen Durst auf süße Limos etc. berichtete, wurde zum ersten Mal mein Blutzucker getestet: Er lag bei knapp 700 mg/dL. So landete ich wieder im Schwabinger Krankenhaus, dieses Mal allerdings auf der Privatstation des jungen Chefarztes Professor Hellmuth Mehnert. Die Bekanntschaft mit ihm war die entscheidende Fügung in meinem Leben. Professor Mehnert nahm mir die Angst, gab mir Mut und half mir, wo immer ich ihn brauchte.

Beruflich habe ich mich nach Abschluss des Studiums auf die Diät-Verordnung im Lebensmittelrecht gestürzt und war für diesen Sektor beeidigte Sachverständige bei der Industrie- und Handelskammer. Ich habe 1972 im Schwabinger Krankenhaus eine gesunde Tochter geboren, was damals noch mit sehr vielen Problemen behaftet war. Glücklicherweise erlaubte mir Professor Mehnert in der Zeit der Schwangerschaft, ihn jeden Sonntagabend um 18 Uhr zuhause zum Rapport anzurufen. Seine Begleitung half mir durch die Schwangerschaft. Heute bin ich 73 Jahre alt, habe eine Tochter und zwei gesunde Enkel. Ich fühle mich – von Alters-Wehwehchen abgesehen – leistungsstark. Allerdings halte ich noch immer strenge Diät. Wenn ich einen befüllten Teller vor mir sehe, schaltet sich in meinem Kopf ein Taschenrechner an, und ich überschlage die akzeptable Menge BE und Fett. Davon abgesehen, lebe ich sehr gut mit meinem Diabetes. Doch ohne Professor Mehnert hätte ich das alles nie geschafft.